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Eiskalt erwischt – Warum Glace nicht immer cool ist


 

Es ist heiss. Richtig heiss. Die Luft steht, der Asphalt flimmert, und das Hirn verflüssigt sich langsam aber sicher zu einer Art Vanillesauce. Und genau in diesem Moment taucht sie auf – die Frage aller Fragen: Darf ich jetzt ein Eis? – Wenn sie nicht aus deinem eigenen Mund kommt, dann garantiert aus dem deines Kindes. Oder, je nach Anzahl Kinder, im Chor. Laut. Drängend. Mit leichten Erpressungstendenzen.

Zugegeben: Ich greife auch zu. Vor allem, wenn die Kühltruhe so schön voll ist und mir das Zitronensorbet auf der Zunge verspricht, dass es ganz bestimmt nicht auf die Hüften geht. Und dann ist da noch diese kleine Erinnerung an meine Mama. Die Mama mit den Tupperpartys. An der dritten – oder war’s die fünfte? – landete dieses geniale, durchsichtige Plastikteil mit Stiel in unserer Küche. Wir machten Eis selbst. Naja. Was heisst Eis? Es war gefrorener Fruchtsaft, steinhart, zähneknirschend – mit dem Charme einer arktischen Bruchkante.

Heute geht das glücklicherweise etwas anders. Cremiger. Genüsslicher. Und, wenn man will, sogar gesünder. Doch kann Eis wirklich gesund sein? Ist es eine kindgerechte Erfrischung oder bloss eine gut getarnte Zuckerbombe im Becherformat? Muss man die Tiefkühlschublade tatsächlich in eine Mini-Gelateria verwandeln – oder reicht auch ein Wasserglas mit einem Hauch Zitrone?

Wie man bei tropischer Hitze nicht nur cool bleibt, sondern auch noch das gute Gefühl behält, seinen Kindern (und sich selbst) etwas Gutes zu tun, davon handeln die nächsten Zeilen. Und ja – Eis darf sein. Aber vielleicht nicht ganz so, wie man denkt.



Kühlt Eis wirklich ?

Die Sonne brennt, der Kreislauf macht Urlaub, und die Zunge hängt wie bei einem Golden Retriever im Juli – da klingt ein Eis doch wie die perfekte Rettung. Kurz reinbeissen, Hirnfrost riskieren und hoffen, dass der Körper endlich auf kühl umschaltet. Doch die bittere (oder vanillesüsse) Wahrheit ist: So ein Eis bringt temperaturtechnisch – sagen wir mal – überschaubaren Nutzen.

Der menschliche Körper reguliert seine Temperatur nämlich nicht durch einen Löffel Gelato, sondern durch Schwitzen. Viel trinken hilft. Schatten suchen hilft. Und: Den Backofen nicht als Wärmflasche benutzen hilft auch. Ein Eis? Das sorgt eher für kurzfristiges Wohlgefühl im Mund – mit etwa so viel nachhaltiger Kühlung wie ein Fächer in der Sauna. Vor allem Kinder essen Eis in Windeseile, der Kälteeffekt bleibt also genau dort hängen: im Mundraum.

Was bleibt, ist Genuss. Und natürlich Zucker. Denn Speiseeis ist nicht per se ein gesundes Lebensmittel – auch wenn es so unschuldig cremig daherkommt. Ein Blick auf die Zutatenliste zeigt: viel Zucker, Fett, Aromastoffe und in der industriellen Version oft Luft – sehr viel Luft. Das sorgt für Volumen, aber nicht unbedingt für Nährwert. Ballaststoffe? Fehlanzeige. Vitamine? Wenn überhaupt in homöopathischer Dosis. Immerhin: Es gibt auch Eis mit echten Früchten und wenig Zucker – aber dafür kommen wir im nächsten Teil zur Alltagsküche zurück.

Kurzum: Wer denkt, ein Eis sei die gesunde, kühle Alternative zum Salat – nun ja, der sollte besser zuerst in den Kühlschrank statt in die Tiefkühltruhe greifen.



Ja, wie geht denn nun gesundes Eis – und kann es auch noch nachhaltig sein?

Die Antwort ist: jein. Denn leider ist gekauftes Eis oft ein Dessert mit Überraschungseffekt – nur nicht immer im positiven Sinn. Wer denkt, Erdbeereis besteht hauptsächlich aus Erdbeeren, der glaubt vermutlich auch noch an den Osterhasen mit Hygienemaske.

Die Realität im Tiefkühlregal: Erdbeereis kann nach Erdbeere schmecken, ohne je eine gesehen zu haben. Aromen und Farbstoffe übernehmen den Job – oft günstiger, lagerfähiger und... sagen wir mal: kreativer. Und dann ist da der Zucker. Viel Zucker. So viel, dass man sich fragt, ob das Eis die Zunge kühlen oder direkt ins nächste Zuckerkoma schicken soll. Eine Kugel Vanilleeis kann locker 15 Gramm Zucker enthalten – das ist mehr als ein kleiner Donut. Gesund? Kaum. Nachhaltig? Leider auch nicht.

Denn deklariert werden muss bei Eis in der Schweiz erstaunlich wenig: Nicht, woher die Früchte stammen. Nicht, ob die Milch aus der Region kommt oder von Kühen mit globaler Fernreisevergangenheit. Und Palmöl? Darf rein. Muss nicht drauf. Für alle, die denken, „ach, eine Kugel geht schon“ – stimmt. Aber drei Kugeln täglich plus Schokoladenüberzug plus Cornet? Das summiert sich schneller als der Badesee voll ist.

Auch Bio- oder Veganeissorten sind nicht automatisch besser. „Pflanzlich“ heisst noch lange nicht nährstoffreich – viele Alternativen arbeiten ebenfalls mit viel Zucker, Stabilisatoren oder exotischen Zutaten, die einen ökologischen Rucksack mit sich schleppen.

Und trotzdem: Die gute Nachricht ist – Eis kann auch ehrlich, lecker und nachhaltig sein. Wie? Indem du’s selbst machst. Dann entscheidest du, ob echte Früchte, wie viel Zucker, welche Milch – oder ob du lieber auf ein schnelles, fruchtiges Sorbet setzt. Aber keine Angst: Im nächsten Abschnitt verrate ich dir, wie du dein eigenes Eis zauberst, ohne gleich eine Eismaschine zu kaufen oder einen Patisserie-Kurs in Bologna zu belegen. Versprochen.



Eis selber machen – klingt aufwendig, ist es aber nicht.

Und ja, man braucht dafür weder eine Eisdiele im Keller noch eine Ausbildung in Molekularküche. Was man braucht: Lust auf echten Geschmack, ein paar Zutaten – und ein kleines bisschen Geduld (oder einen sehr schnellen Mixer, aber dazu später).

 

Die klassische Variante startet meist mit Milch oder Rahm – oder beidem. Wer mag, nimmt Vollmilch, ein bisschen Zucker, ein Eigelb (für Cremigkeit, nicht für den Cholesterinspiegel) und natürlich: Geschmack. Vanille, Schokolade, Beeren, Mango – alles erlaubt, was schmeckt und in deinen Mixer passt. Die Masse wird kurz erhitzt (Pasteurisieren nennt sich das im Fachjargon – oder „Küchen-Achtsamkeit“ auf Hipsterisch), dann abgekühlt und in die Eismaschine gegeben. Oder in ein Gefäss und ins Gefrierfach – aber dann bitte alle 30 Minuten umrühren, damit keine Eiskristall-Katastrophe passiert.

 

Wer lieber auf Wasserbasis arbeitet, kann ein Sorbet zaubern. Wasser, Früchte, Zucker – und ein Spritzer Zitronensaft für den Frischekick. Auch hier gilt: Je feiner die Masse, desto cremiger das Ergebnis. Und bitte nicht geizen mit dem Pürieren – jedes Stückchen Frucht kann beim Gefrieren zum Zahnspangen-Schrecken werden.

Apropos Eiskristalle: Sie entstehen, wenn zu viel Wasser zu langsam gefriert – also bitte gut pürieren, fein sieben, und gelegentlich umrühren. Ein Schuss Alkohol (z. B. in ein Sorbet) kann Wunder wirken: senkt den Gefrierpunkt und sorgt für zartschmelzendes Glück – allerdings nur für Erwachsene.

 

Und jetzt zur Express-Variante – dem Blitz-Eis. Hierfür brauchst du: tiefgefrorene Früchte (z. B. Bananen, Erdbeeren, Mango), einen Hochleistungsmixer (Thermomix, Vitamix, oder einfach irgendwas Lautes mit Drehzahl) und eine Portion Kreativität. Die gefrorenen Früchte direkt mixen, dann mit etwas Milch, Kokosmilch oder – wenn’s ein Dessert für Grosse ist – einem Schuss Amaretto oder Rum cremig rühren. Voilà: Sofort geniessen, nicht einfrieren! Dieses Eis will nicht warten – und das Beste daran: Es ist so schnell gemacht, dass es sowieso keine Chance hätte, alt zu werden.



Aber ja – jetzt wird’s cool im besten Sinne des Wortes.

Denn wer sagt eigentlich, dass Eis nur auf Waffeln gehört oder im Becher mit Glitzerstreusel serviert werden muss? Genau hier beginnt das Spielfeld der Spitzenköche – und die machen aus dem schnöden Glacé-Kübel ein kulinarisches Feuerwerk auf Eis.

 

Denn Glace ist nicht einfach nur Dessert. Glace kann Aromabombe, Texturgeber, Temperaturkontrast und sogar Suppeneinlage sein. Ja, du hast richtig gelesen: Suppeneinlage. Denk mal kurz an eine samtige Marronisuppe – fein, nussig, wärmend. Und jetzt: Zack! – ein Löffel Gin-Tonic-Sorbet obendrauf. Kühl, wach, überraschend. Oder eine kräftige Tomatensuppe – und plötzlich schmilzt ein Basilikum-Sorbet darin wie ein kulinarisches Gedicht. Kein Witz – das ist Haute Cuisine mit Spassfaktor.

 

Und es geht noch weiter: Parmesan-Glace auf Risotto, Olivenöl-Sorbet zur Burrata, Sellerieeis als Amuse-Bouche. Diese Kreationen stammen nicht aus dem Chemielabor, sondern von Köch*innen mit Sternen – und sehr viel Fantasie. Ein weiterer Trick aus der Welt der Profis: Eis als Kontrastgeber. Serviere ein erdig-süsses Randen-Carpaccio mit einem winzigen Klecks Sauerrahm-Glace. Oder nimm ein zartes Zitronenmelisse-Eis und leg es auf einen noch warmen Ziegenfrischkäse. Heiss trifft kalt, süss küsst salzig, und du sitzt mittendrin und weisst: Eis kann einfach alles.

 

Also ja – du darfst natürlich weiter dein Erdbeerglace im Liegestuhl geniessen. Aber vielleicht, nur vielleicht, wagst du dich mal an Avocado-Eis mit Chiliöl, oder an Lavendel-Glace im Aperitifglas. Denn die Zukunft der Eiscreme ist nicht mehr nur Vanille und Schoggi – sie ist wild, mutig und... irgendwie ANDERSTGEMACHT.

Bon appétit und bleib kühl.

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