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Wer Zeit hat, trinkt Zitrone – Der stille Aufstand gegen den Frühstücksautomatismus


 

Stellen wir uns das mal ganz frech vor: ein Frühstück – ohne Brot. Kein knuspriges Äusseres, kein weiches Innenleben, kein Butter-Messer, das beim Versuch zu schneiden abgleitet wie ein Anfänger beim Curling. Nur du, eine Tasse heisses Wasser und… ja, was eigentlich?

 

Allein der Gedanke ist ein Aufstand gegen die gute alte Sitte. Brot ist Frühstück. Oder besser: war Frühstück. Seit Jahrhunderten. Seit Mühlenrattern, Teigkneten, Steinofenkrachen und – Butter aufs Brot. Punkt. Doch irgendwie, irgendwo, irgendwann – wie Nena schon sang – hat sich das Brot auch ein wenig aus dem Zentrum unserer Frühstückstische geschlichen. Vielleicht wegen der Kohlenhydrate. Vielleicht wegen dem Gluten. Oder vielleicht, weil der Körper nach Jahren des Weissmehls einfach mal aufwachte und sagte: „Du, ehrlich – das war’s jetzt für mich.“

 

Und ja, ich muss gestehen, ich wohne über einer Kaffeemaschine. Nicht wörtlich, aber sinngemäss. Unten in meiner Altstadtwohnung bäckt jeden Morgen ein Café seine Gipfeli, der Duft steigt in meine Wohnung wie der Sonnengruss ins Yoga-Studio. Und ich? Liege da und überlege, ob ein Konfibrot wirklich ein guter Tagesstart ist – oder nur ein altes Ritual, das wir wieder mal hinterfragen sollten.

 

Weil Weizen, besonders in der Früh, gar nicht so harmlos ist. Der Glykämische Index springt höher als mein Puls, wenn ich verschlafe. Erst ein Hoch, dann ein Loch – willkommen im Achterbahn-Frühstück. Und der Kaffee? Macht wach, ja. Aber direkt nach dem Aufstehen liegt der Cortisolspiegel eh schon am oberen Anschlag – Kaffee oben drauf ist wie das berühmte Öl ins Feuer. Die innere Unruhe grüsst.

 

Also: kein Weizen, kein Kaffee nach dem Aufstehen? Vielleicht. Vielleicht aber auch nur: ein bisschen weniger Routine, ein bisschen mehr Rhythmus. Und plötzlich steht nicht mehr die Tasse im Zentrum, sondern die Zeit, die wir uns nehmen – für uns, für ein Gespräch, für ein neues Frühstück. Und wer weiss, vielleicht beginnt die Zukunft nicht mit Toast – sondern mit einem Gedanken. Oder einem duftenden Tee. Und einem Text über Brote, Gipfeli – und warum weniger manchmal mehr Morgen ist.



 

Es gibt diese Morgende, da öffne ich die Augen – und nicht die Kaffeemaschine ist der erste Gedanke, sondern: Heute mach ich’s anders. Kein Konfibrot. Kein Espresso. Kein Start mit Zucker und Koffein, sondern... Zitronenwasser. Antoine William empfiehlt das. „Ein Glas warmes Zitronenwasser bringt deinen Stoffwechsel in Schwung“, sagt er. Ich glaube ihm. Ich habe es versucht. Mehrmals. Und ehrlich gesagt: Ich bin an mir selbst gescheitert.

 

Weil Zitronenwasser nicht duftet wie ein frisch gebackenes Gipfeli. Weil es keine Umarmung ist, sondern eine Aufforderung. Und weil Selbstdisziplin am Morgen oft nicht lauter ist als der Wecker – sondern eher flüstert, und ich höre zu selten hin. Aber da ist dieser Gedanke: Wie will ich eigentlich in meinen Tag starten? Wirklich mit einem chemisch aufgewühlten Blutzuckerspiegel und einem müden Griff zur Tasse? Oder doch lieber mit einem Ritual, das mich weckt, statt nur meine Nervenzellen auf Touren bringt?

 

Früher, als der Leistungssport noch mein Taktgeber war, stand ich selbstverständlich jeden Morgen auf, um zu joggen. Am See. Noch bevor der Nebel sich verzog. Und ehrlich: In diesen Momenten hatte ich die besten Gedanken. Die klarsten. Die ruhigsten. Nicht gehetzt vom Kaffeeduft, sondern geführt von frischer Luft.

Warum also nicht zurück – oder besser: vorwärts – zu einem Morgenritual, das mich in Einklang bringt? Joggen, Meditation, ein Glas warmes Wasser. Und dann, wenn mein Körper es wirklich will, eine Tasse Kaffee. Oder Tee. Vielleicht sogar ein Biss ins Brot – aber aus Lust, nicht aus Gewohnheit.

 

Andere Kulturen machen es uns vor. In Asien ist der Morgen ein Heiligtum: Tai Chi im Park, grüner Tee in kleinen Schritten, ein Schweigen, das mehr sagt als jede Schlagzeile. Im Oman steigen Düfte, Gebete, Dankbarkeit empor. Dort beginnt der Tag nicht mit Hast, sondern mit Haltung. Und wir? Wir haben das Frühstück mit der Gesellschaft mitverändert. Als Frauen in die Arbeitswelt einstiegen, wurde Zeit plötzlich zur Mangelware. Frühstück wurde effizient. Schnell. Tragbar im Becher, essbar im Stehen. Später kamen die Kinder, die Termine, das Chaos. Und mit ihnen ein Morgen, der oft wie eine Checkliste beginnt – nicht wie ein Geschenk.

 

Vielleicht ist es also gar nicht das Brot oder der Kaffee, der unser Problem ist. Sondern der Rhythmus. Die Haltung. Die Frage, wie viel wir uns und unserem Körper zumuten, bevor wir überhaupt "Guten Morgen" sagen. Vielleicht wäre es Zeit, dass wir unsere Morgen wieder selbst gestalten. Mit Wärme, mit Ruhe, mit uns. Und ja, vielleicht mit einem Tropfen Zitrone.



 

Frühstück ist ein Statement. Und dein Brot sagt mehr über dich aus, als du denkst. Ja, das Konfibrot ist für viele von uns nichts weniger als ein emotionaler Rückholknopf in die 80er. Es ist süss, weich, streichfähig – und ehrlich gesagt: ein bisschen wie unsere Kindheit. Wer Konfi aufs Brot schmiert, will sich nicht entscheiden müssen. Zwischen süss und gesund, zwischen damals und heute, zwischen Mama und Selbstoptimierung.

Aber wehe du verzichtest heute auf Brot. Dann bist du plötzlich glutenfeindlich – oder schlimmer noch: ein Ernährungsideologe. Und irgendwo zwischen Avocado-Toast, Overnight Oats und Mandelmus droht das ehrliche Brot, das sich über 10'000 Jahre auf unseren Frühstückstisch gekämpft hat, in Vergessenheit zu geraten. Würde Jesus heute eigentlich Toast essen? Oder eher eine fermentierte Dattel auf Wildkräuterbett?

 

Dabei war Brot nie bloss Beilage. Es war Hauptdarsteller. 8000 Jahre alt, geboren aus Gerste und Emmer, zuerst in den fruchtbaren Böden des Nahen Ostens – heute in hippen Sauerteiggruppen auf Instagram. Die Ägypter nannten es heilig, die Griechen machten es zum Statussymbol, und im Wallis wurde es einst nur einmal pro Woche gebacken, gleich nach der Wäsche. Kein Scherz: Die Restwärme vom Seifenkessel wurde genutzt, um das Roggenbrot zu backen – eines, das noch heute so haltbar ist, dass es locker mit einem WG-Bewohner durch den Winter kommt. Und dann ist da das Nussbrot aus Graubünden, das mindestens genauso lange hält – oder das Brot vom Dani Amrein, dem Eigenbrötler auf dem Wochenmarkt, dessen Laibe man am besten wie gute Freunde behandelt: mit Respekt, Messer und einer kleinen Pause.

 

Die Brotgeschichte wurde im 19. Jahrhundert neu geschrieben, als Hefe plötzlich industriell verfügbar wurde. Eine Revolution. Aber auch eine Verlockung – denn damit kam das Volumen, die Luftigkeit, die weissen Semmeli mit Goldrand. Und langsam auch: die "Pappe" wie ich das Industriebrot nenne. Also ja: Wenn wir heute von Frühstück sprechen, sprechen wir auch von Haltung. Von Geschmack. Und vielleicht auch davon, ob wir bereit sind, unserem Frühstück wieder mehr zuzuhören. Denn wer Brot backt – oder bewusst kauft – der isst nicht einfach. Der erinnert sich. Und beginnt den Tag mit etwas, das älter ist als der Wecker selbst: mit einem echten Stück Kulturgeschichte.

 



Wenn sich heute mitten in der urbanen Umgebung Freunde zum Frühstück – oder eben eher zum Brunchen – treffen, dann würde man in etwa das folgende Gespräch mithören:

 

Avocado-Toast-Fan (leicht verspätet, aber mit makellosem Dutt):

„Sorry, ich hab ewig gebraucht – mein Sauerteigbrot war noch nicht knusprig genug fürs Foto. Aber hey, schaut euch diesen Toast an! Avocado, rosa Pfeffer, Sprossen. Fast zu schön zum Essen.“

 

Konfibrot-Typ (mit rotkariertem Pyjamahemd und warmem Blick):

„Ich hab einfach ein Zopfbrötli mit Konfi genommen. Wie früher. Da wusste man noch, was man am Morgen isst. Und man musste nichts fotografieren, bevor man's gegessen hat.“

 

Chia-Guru (sehr ruhig, spricht wie in Slow Motion):

„Meine Bowl heute ist fermentierter Hafer mit Chia, Hanfprotein, Heidelbeeren und einem Löffel ayurvedischer Mondbutter. Ich nenne es: 'Frühstück in Balance'. Möchte jemand das Rezept... oder lieber meine Aura lesen?“

 

English-Breakfast-Enthusiast (mit leichtem Speckgeruch in der Jacke):

„Ich versteh euch alle nicht. Frühstück ist doch dazu da, satt zu werden. Ich hab heute zwei Spiegeleier, Speck, Bohnen und ein Stück Blutwurst verdrückt. Danach fühlt man sich... lebendig!“

 

Glutenphobiker (leicht nervös beim Anblick der Zopfbrötli):

„Ich hoffe, das Zopfbrötli liegt nicht zu nah an meiner Lupinenwaffel. Ich hab Gluten-PTSD. Seit ich mal aus Versehen ein Bisschen Dinkel gegessen hab, spür ich’s in der Aura.“

 

Smoothie-Zeitoptimierer (mit Sportleggings und AirPods im Ohr):

„Ich war schon joggen, hab mein Büro im Co-Working reserviert und trinke gerade einen Spinat-Kiwi-Ingwer-Smoothie. Muss aber gleich weiter – Zoom um zehn. Frühstück ist für mich eher… intravenös.“

 

Achtsamkeits-Mensch (lächelt allen wohlwollend zu):

„Ich habe heute nur Zitronenwasser getrunken. Dafür aber mit vollem Bewusstsein. Ich spüre, wie mein inneres Feuer erwacht. Vielleicht gönn ich mir später ein Reisbällchen – wenn es mit meinem Dosha harmoniert.“

 

Konfibrot-Typ (leise, fast melancholisch):

„Und ich dachte immer, Frühstück sei der Moment, wo man zusammensitzt, redet und das Leben ein bisschen langsamer wird…“ English-Breakfast-Enthusiast: „Du hast recht. Vielleicht sollten wir einfach mal wieder zusammen Rösti machen. Mit Spiegelei. Ohne Chia. Und ohne WLAN.“

So unterschiedlich sie sind – vom Chia-Schichtenbauer bis zur Gipfeli-Rückbesinnung – alle sitzen sie an einem Tisch und versuchen, auf ihre Weise den Tag zu beginnen. Doch kaum jemand fragt sich dabei: Seit wann frühstücken wir überhaupt? Oder: Wie wurde aus dem morgendlichen Hunger ein Ritual – und aus Brot ein Kulturgut?

 

Denn bevor wir Avocados püriert, Chiasamen eingeweicht und Sauerteigstarter gehätschelt haben, war Frühstück… na ja, eher funktional. Oder feierlich. Oder gar verpönt. Zeit also, dem Frühstück auf den Grund zu gehen. Nicht mit dem Löffel – sondern mit einem Blick zurück: Wie kam das Brot auf den Tisch? Wann wurde Kaffee zum Wecker der Moderne? Und wie frühstückte eigentlich ein Pharao, ein Römer oder ein mittelalterlicher Schweizer? 



Es war einmal – lange bevor „#breakfastinspo“ unsere Feeds flutete – da war Frühstück weder bunt, noch fotogen. Es bestand aus Brot. Vielleicht ein Stück Käse. Im besten Fall noch ein Rest Suppe vom Vorabend, der aufgewärmt wurde, um den Körper auf Feldarbeit, Viehtrieb oder Kindergeburt vorzubereiten. Und das ohne Flat White, ohne Smoothie-Bowl und ganz sicher ohne Chiasamen.

 

In der Schweiz – dem Land der Täler, Käselager und der Roggenbrot-Resilienz – war Frühstück traditionell eher robust als romantisch. Man ass, was da war. Gebacken wurde einmal pro Woche, gegessen wurde dreimal täglich. Warum eigentlich? Wer hat dieses „Morgens, mittags, abends“-Dogma erfunden? Vermutlich jemand mit geregeltem Tagesablauf und einer sehr gut funktionierenden Kirchenglocke im Dorf. Oder die Industrie, welche mehr "Food" verkaufen wollte. Ja der Dreier-Rhythmus kam mit der Industrialisierung: Taktgeber wurden nicht mehr Sonne und Hunger, sondern Arbeitszeit und Schulpausen. Die Fabrik pfiff, der Magen sprang. Und siehe da – das Frühstück bekam eine feste Zeit, das Znüni wurde geboren, und wir assen plötzlich, weil der Kalender es wollte – nicht der Körper.

 

Doch heute? Heute essen wir aus anderen Gründen. Weil ein Influencer in Lissabon gerade Croissants mit Ziegenkäse und Lavendelhonig gepostet hat. Oder weil man eben nicht derjenige sein will, der in Berlin im Hotel den abgepackten Fruchtjoghurt löffelt, während draussen in der Stadt die Inspiration nur eine Bäckerei entfernt wäre. Globalisierung, Instagram und Airbnb-Frühstücksoptionen machen uns zu kulinarischen Kosmopoliten. Der Mensch strebt nach Sinn – und findet ihn gelegentlich in einer guten Focaccia mit Burrata um 10:37 Uhr.

 

Was lernen wir daraus? Vielleicht, dass das Frühstück nicht tot ist, sondern einfach in der Pubertät. Es sucht sich gerade selbst. Zwischen Hafermilch und Honigbrötli. Zwischen Wellness und Weltreise.

Und vielleicht – ganz vielleicht – wäre es gesünder, nicht immer zu fragen was und wann wir essen sollen, sondern wieder öfter in den eigenen Körper hinein zu horchen. Manchmal möchte der nämlich gar kein Frühstück um Punkt sieben. Sondern erst um neun. Oder gar nicht. Und wenn doch – dann vielleicht nicht zwingend ein Dinkeltoast mit Avocado, sondern einfach ein halbes Roggenbrot, dick Butter drauf. Ohne Filter. Ohne Hashtag. Denn schliesslich: Die Erde dreht sich weiter. Die Welt verändert sich. Und unser Frühstück – darf das ruhig auch.



Der Brunch verändert sich. Deine Rituale verändern sich. Und – Überraschung – das ist auch gut so. Der sture Ablauf von Kaffee, Brot und Konfi hat vielleicht ausgedient. Oder zumindest ein kleines Update verdient. Ich persönlich probiere es jetzt mal wieder mit Zitronenwasser. Und Joggen am Morgen. Wirklich – kein Witz. Es fühlt sich fast schon spirituell an, wenn man mit leeren Magen und vollem Atem dem Seeufer entlang trabt.

Vielleicht – ja vielleicht – höre ich künftig auch mehr auf meinen Körper. Esse, wenn die Lust da ist. Nur... das ist gefährlich. Denn ich esse lustvoll. Ich bin Geniesser. Und wenn ich immer esse, wenn ich Lust habe – dann wäre ich wahrscheinlich den ganzen Tag beschäftigt. Das wiederum wäre definitiv ungesund.

 

Also finde ich meinen Mittelweg. Ich lasse mich inspirieren. Ich lebe. Und genau diese Inspiration möchte ich weitergeben. Wenn du jetzt – nach diesen Zeilen – eine klitzekleine Veränderung mit in deinen Tagesstart nimmst, dann haben sich mein Tippen, mein Nachdenken und dein Lesen mehr als gelohnt.

Vielleicht trinkst du morgen einfach nur ein Glas Wasser. Oder du gehst raus, bevor du frühstückst. Oder du gönnst dir ganz bewusst ein richtig knuspriges Gipfeli – aber mit einem Lächeln und ohne schlechtes Gewissen.

Ich bin und bleibe achtsam. Und ich danke dir – für deine Zeit, deine Offenheit und dafür, dass du diesen Text nicht einfach nur überflogen, sondern wirklich gelesen hast.

 

Schönen Morgen noch. Und falls wir uns nicht mehr lesen: Lebe genussvoll. Aber nicht immer nur beim Frühstück.

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