Pünktlich zum Neumond bringt Swatch ihre neue Moonswatch raus – und zack, stehen sie schon wieder da, die Jünger der Plastik-Religion. Morgens um vier, Zürich, Bahnhofstrasse: Die einen schleppen Einkaufstaschen von Prada, die anderen den Schlafsack vom letzten Openair, alle mit einem gemeinsamen Ziel – 300 Franken für ein Stück tickendes Polymer hinzulegen. Der Hype ist nicht neu, schon 2022 war die NZZ im Moonswatch-Fieber. Und ja sogar schon in der Geburtsstunde von Swatch warst du ein Trendsetter wenn du dieses Schlangenstehen mit machste – und ich gebe es zu: Auch ich stand in den 80ern Schlange, um eine Swatch zu ergattern. Aber heute? Heute sehe ich die Welt anders.
Denn während sich die Plastik-Pilger hier die Beine in den Bauch stehen, schiebt ein paar Strassen weiter der Bäcker sein Sauerteigbrot in den Ofen. Auf dem Märt stellt der Gemüsemann seine Kisten bereit – regional, saisonal, essbar. Kein Instagram-Filter nötig, kein Limited Edition-Stempel. Doch für einen Zopf oder einen Laib Käse? Da bildet sich keine Schlange, höchstens wenn der Krieg ausbricht oder das Mehl rationiert wird.
Und da frage ich mich: Warum hat das Brot keinen Hype? Warum keine Fans, die um vier Uhr morgens vor der Bäckerei campieren, um das erste knusprige Brötli zu ergattern? Stattdessen starren sie
hier auf eine Uhr, die ihnen die Zeit anzeigt, die sie gerade verschwenden. Roger Federer kann zehn Uhren tragen – seine Aufschläge werden dadurch auch nicht schneller. Und ganz ehrlich: Morgens
um vier bleibt morgens um vier.
Vielleicht ist das genau der Punkt: Wir lassen uns lieber vom Glanz einer Plastik-Uhr blenden als vom Duft eines frisch gebackenen Brotes. Wir feiern Limited Editions aus Fernost, statt den Käse
vom Nachbardorf. Der Hype wird importiert – der Geschmack könnte vor der Haustür liegen. Und wenn wir schon stundenlang Schlange stehen, dann doch bitte für etwas, das man nicht nur anschauen,
sondern auch geniessen kann.
Grundsätzlich habe ich ja nichts gegen Uhren oder andere Konsumgüter. Ich gebe zu – auch ich hatte mehr als eine Swatch zu Hause, sogar solche, die nie ans Handgelenk kamen, sondern Jahre später
gewinnbringend verkauft wurden. Darum geht’s mir hier nicht. Mir geht’s darum, warum wir nicht auch unsere Lebensmittel zum Luxusgut machen können. Warum das regionale Rüebli lieber unscheinbar
im Boden stecken bleibt, statt zur Königin des Marktes gekrönt zu werden. Wir könnten unsere kulinarischen Schätze hypen wie eine limitierte Moonswatch – nur würden wir sie dann nicht ins Regal
legen, sondern mit Genuss aufessen. Und doch gibt es den Luxus - nennen wir es mal so - auch in den Lebensmittel.

Luxus hat sich in unsere Lebensmittel nicht eingeschlichen, er wurde regelrecht inszeniert – seit Jahrhunderten. Schon im Barock war Zucker so rar, dass er nur auf Fürstenbällen in kunstvolle
Skulpturen verwandelt wurde. Im 19. Jahrhundert wurde Kaviar aus Russland zum Statussymbol der Pariser Salons, während die einfachen Fischer ihn kaum noch selbst essen konnten. Später kam der
Champagner als flüssiges Prestige, gefolgt von Foie gras, Trüffeln und Wagyu-Steaks. Heute sind es Marketingwunder wie die goldverzierte „Dubai-Schoggi“, die eher für Instagram als für den Gaumen
gemacht sind. Der Inhalt ist oft Nebensache – Hauptsache, er glänzt, funkelt und lässt sich in einer Schachtel mit Magnetverschluss präsentieren.
Luxus im Lebensmittelbereich wäre also kein neues Phänomen – aber heute will sich der Grossteil den echten Luxus gar nicht erst gönnen. Stattdessen übernachten Menschen in Zelten für eine Uhr
oder ein iPhone und zahlen Preise, die für manche einem halben Jahresbudget für Lebensmittel entsprechen. Für Kaviar und Trüffel wird gezahlt, als gäbe es kein Morgen – aber ein Brot aus
Urgetreide oder ein Stück Käse von 19 Rigi-Kühen? Fehlanzeige. Dabei ist genau das für mich purer Luxus: ein Bündner Salsiz vom Alpahirt, bei dem ich wortwörtlich den Namen der Kuh kenne, die mir
mit jedem Alpgang den Genuss dieses Fleisches geschenkt hat.
Oder das Fleisch vom Rätischen Grauvieh aus Hildisrieden, so rar, dass schon eine Wurst daraus ein Ereignis ist. Ein Käse von einer Älplerin, der von Natur aus limitiert ist, weil eben nur so
viel Milch fliesst, wie ihre Kühe hergeben. Das ist authentischer, ehrlicher Luxus – keine Marketing-Illusion. Aber statt Menschenmassen vor dem Hofladen stehen hier höchstens ein paar Katzen in
der Sonne. Kein Hype, keine Selfies, kein Zelten vor der Ladentür.
Vielleicht müsste man den Käse einfach mal mit einer Uhr kombinieren, um den kulturellen Luxus sichtbar zu machen. Eine „Moonswatch im Käse-Look“ – limitiert auf 300 Stück, jede Scheibe… äh, jedes Exemplar mit einer Rinde aus echter Bergruhe. Ich wette, die Leute würden dafür in Zürich um vier Uhr morgens Schlange stehen, Selfies mit dem Käser machen und den Hashtag #CheeseDrop posten. Mäuse würden vor Freude ohnmächtig, der Mensch hingegen würde endlich merken, dass echter Luxus nicht im Schaufenster der Bahnhofstrasse liegt, sondern im Keller eines Bauernhauses, wo der Laib langsam reift und sein volles Aroma entfaltet.

Stellen wir mal den Käse in den Kontext der Uhr – oder die Uhr in den Käsekeller. Eine „Limited Edition Emmentaler AOP“ mit goldgeprägtem Zifferblatt im Lochmuster, dazu eine Prise echtem
Alpmief. Nummeriert und vom Senn persönlich signiert, verpackt in einer rustikalen Holzkiste statt einem Plastikdisplay. Plötzlich gäbe es Wartelisten, Vorbestellungen und Schwarzmarktpreise in
Genf. Influencer würden live aus dem Käsekeller streamen statt vom Rooftop in Dubai – und alle würden merken: Luxus entsteht nicht aus Marketingbudgets, sondern aus Heu, Milch, Zeit und einem
Menschen, der um vier Uhr morgens aufsteht, weil seine Kühe nicht snoozen.
Ironischerweise stehen Swatch-Fans genau um diese Uhrzeit an, um sich Plastik ans Handgelenk zu schnallen, während der Senn den Melkschemel ausrichtet. Und das Design? Mondähnlich sind beide –
und Schweizer DNA steckt in beiden sowieso mehr als nur dekorativ drin. Eigentlich müsste sich die Käseunion einfach mal mit der Swatch Group zusammentun. Treffen nicht in Biel oder im Emmental,
sondern auf der Rigi, bei der Älplerin auf der Alp Trieb, die wohl den besten Käse der Schweiz macht – von Kühen, deren Namen sie kennt, weil es nur eine Handvoll sind.
Und wenn nicht auf der Alp, dann am Luzerner Wochenmarkt, wo um vier Uhr morgens schon der Käsestand gerichtet wird, damit um sieben die ersten Kunden ein Stück vom Glück kaufen können. Tatsache ist: Ob bei Sälmi, beim Peter, bei Rolf Beeler oder im Luzerner Chäs Chäller bei Roli – für guten Käse steht man an. Vielleicht nicht mit Campingstuhl und Thermoskanne, aber mit Herz.

Und vielleicht ist es genau jetzt an der Zeit, beim Käse – oder jedem anderen ehrlichen Lebensmittel – einen Schritt zurück zur Normalität zu machen. Während irgendwo zwischen Zollkriegen,
selbsternannten Vögten und 20'000-seitigen Verträgen das Fussvolk drangsaliert wird, wünsche ich mir, dass beim Genuss nicht auch noch ein Anwalt am Tisch sitzt. Genuss braucht keine juristische
Fussnote, er braucht Vernetzung, Ideen, Mut und Menschen, die nicht nur produzieren, sondern auch teilen und am Schluss Dich! Ja Dich! Die Geniesserin mit Herz den Geniesser mit Rückhalt.
Der Handel wird kleiner, während die Grossen immer grösser werden. Spar wird verkauft, MANOR verabschiedet sich schleichend vom Food, VOLG ringt mit Innovationsmut, und unsere beiden orangen
Riesen knechten ihre Produzenten, als wären sie eine lästige Variable in der Excel-Tabelle. Wer sich nicht beugt, fliegt. Und wer bleibt, verkauft sich irgendwann ins Ausland – mitsamt der
Geschichten, die unsere Lebensmittel eigentlich so besonders machen. Oder umgekehrt die Ausländer probieren die Schweiz zu Verkaufen mit Preisen und Inhaltsstoffen die jeden Arzt nach dem Genuss
erfreut.
Ich will nicht schwarzmalen. Ich will anfeuern. Helfen, vernetzen, den Genuss zurück auf die Märkte, in die Dörfer, in unsere Küchen bringen. Wenn Herzensproduzenten auf Herzensmenschen treffen, passiert Magie – nicht im Marketinglabor, sondern auf dem Acker, im Käsekeller, in der Backstube. Wir müssen uns nur wieder bewusst machen, woher unsere Lebensmittel kommen und wem wir beim Kaufen in die Augen schauen. Dann wird es gut. Ich glaube fest daran.

Vielleicht ist dieser Blog ein bisschen ironisch, ja – aber genau so schmeckt das Leben eben besser. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen wird auch der Käse cremiger, der Wein fruchtiger und das
Brot knuspriger. Wir können nicht jeden Zollkrieg verhindern, keine selbstlöschenden Verträge aus der Welt schaffen und wohl auch nicht verhindern, dass irgendwer um vier Uhr morgens für eine
Plastikuhr ansteht. Aber wir können um vier Uhr morgens mit dem Senn im Stall stehen, am Samstag auf dem Märt mit den Produzenten plaudern und unseren Genuss dort einkaufen, wo er wächst. Nicht
perfekt verpackt, sondern ehrlich gemacht. Und wenn wir dabei noch zusammen lachen können – dann haben wir gewonnen.
Herzlich mit Genuss
Stefan
Kommentar schreiben